Mit der Leichtigkeit einer Ballerina hüpfte Felix in der Küche auf die Fensterbank, ohne auch nur irgendeinen Gegenstand, der den Platz dort zierte, zu berühren.
Das kann nur eine Katze dachte Gerda. Obwohl sie dem Kater im Allgemeinen und vor allem im Besonderen nicht zugetan war, versetzte sie dieser Vorgang jedes Mal in Erstaunen.
An Tagen, wenn sie sich nicht gut fühlte, wie sie immer sagte, hatte der rote Streuner besonders unter ihrem Wortschwall zu leiden. Sie gab ihm alle Namen, die sicherlich kein Mensch aus ihrem Umfeld hören sollte. Es waren mancherlei Kraftausdrücke, die ihr über die Lippen gingen, mit denen sie ihrem Frust Luft machte. Doch Felix störte das nicht. Er ging seine eigenen Wege, suchte sich ein Plätzchen im Hause, dort wo er sich gerade wohl fühlte, und in Ruhe gelassen wurde, auch von Madame wie er Mimi die Katzendame nannte, die ebenfalls hier wohnte. Außerdem fand er diese eingebildete, handgestrickte Tigekatze nicht besonders super. An ihr interessierte ihn persönlich gar nichts, nur ihr mit Nassfutter gefüllter Fressnapf. Das war so köstlich aber ihm wurde dieser Leckerbissen verwehrt: “viel zu teuer für dich“ bruddelte Gerde ihren Kater an, wenn dieser mal wieder ihrer allerliebsten Mimi das Futter weggefressen hatte. So besonders wurde nur Madame Mimi im Hause verwöhnt. Felix wurde mit Schimpfworten und Verachtung überhäuft, ja er will mal meinen nicht gerade gestraft, sondern auf diese Art mit Gerdas Wortschwall verwöhnt. Alles andere würde sich nur schrecklich anhören.
Da er ein besonderer Kater war und aus einer sehr vornehmen Katzenfamilie stammte, wie er immer sagte, derer von und zu des „Roten Fells“, konnte ihn das wenig kümmern. Er wusste wie man sich zu benehmen hatte und besonders dann, wenn man mit Schimpfworten überhäuft wurde.
Da ging er hoch erhobenen Schwanzes aus dem Umfeld von Gerda, reckte sein allerbestes Hinterteil noch etwas höher, verschwand an irgendeinem seiner versteckten Plätze, die er für sich auserkoren hatte.
Er war sich sicher, Gerda, die nur als Dienerin in seinem Hause lebte, da er nun mal als erster lange vor Gerdas Einzug hier her kam und so die älteren Rechte hatte, beschwerte ihn das wenig. Nur verweigerte sie ihm das köstliche Nassfutter. Die Leckerbissen waren für die Gnädigste, wie sie Mimi ansprach gekauft worden und nicht für einen gefräßigen dicken Kater, so ihre Meinung. Der gefüllte Napf stand immer vor der Schlafzimmertür im Obergeschoss bereit, wo sich Gerde dann des Nachts mit ihrer Mimi zurückzog. Für ihn war hier jegliche Art von Zutritt verboten. Damit so glaubte sie wäre es ausser Reichweite von Felix, denn er geht normal nie in den oberen Stock. Sein Fressnapf stand auf einem Schränkchen in der Küche gefüllt mit Trockenfutter und das musste, so Gerda, genügen. Wasser stellte sie nicht mehr dazu, denn er versorgte sich damit aus der Regentonne. Das mochte er lieber, schmeckte nicht so schrecklich, wie das aus dem Schälchen, von wo immer Gerda es auch herhatte, es war… igit igit. Mehr sollte, wie Gerda meinte und vor allem glaubte, ein dicker Kater auch nicht bekommen.
Wenn Felix hungrig sein sollte, könnte er ja im Keller nach den Mäusen sehen. In ihren Augen war er groß, fett, und faul, wie sie immer den Nachbarn beteuerte, wenn diese nach Felix fragten. Jedes menschliche Wesen, das ihr Haus betrat, und sich mit Felix unterhielt oder ihn streichelte, empfand Gerda als einen Affront ihr und der Katzendame Mimi gegenüber. Sie meinte dann, dass die Menschen weit entfernt wären, von dem was sie unter Tierliebe verstand. Dann war sie launisch, sogar pampig zu dem Besuch und fast so wütend wie zu Felix und war froh, wenn der Besuch wieder die Haustüre hinter sich zumachte, wie sie immer sagte.
Felix, war beliebt, weil er alle Begrüßte und keinen Unterschied zwischen den Besuchern machte, ob er eine Person sympathisch oder weniger Sympathisch fand. Er war eben ein Kater, ein richtiger Kater, der Streicheleinheiten dort einforderte, wo er sie, wenn ihm gerade danach war auch bekommen konnte. Und Streicheleinheiten konnte er nie genug entgegennehmen. Das ärgerte Gerda, denn die Streicheleinheiten hätte sie lieber der kleinen zarten liebenswerten Mimi gewünscht. Hingegen Mimi eine junge zierliche etwas wilde Katzendame, gegenüber menschlichen Wesen scheu und auch manchmal hinterlistig, Katzendame eben, hat dieses Benehmen bestimmt von Gerda übernommen, überlegte Felix. Ein Besonderes eigenwilliges Verhalten hatte Madame Mimi nur Gerda durfte sie auf den Arm nehmen und streicheln. Alle anderen in ihrem Umfeld, die sich ihr näherten, bedrohte sie mit fauchen, schlug nach ihnen, kratzte sie, oder biss sie in die Ferse, wenn sie an ihr vorbei gingen.
Felix machte sich nicht viel aus solcher Hinterlistigkeit und natürlich auch nichts aus Mimi. Er hatte nur eines was ihn interessierte und das war der Fressnapf der Mitbewohnerin. Der stand wie schon gesagt im Obergeschoss, vor dem Schlafzimmer und wurde regelmässig überdurchschnittlich gefüllt, denn die Kleine war so zart, laut Gerda, dass sie unbedingt aufgepäppelt werden musste. Für Felix war es eine Kleinigkeit sich dort zu verköstigen. Er wusste genau, wenn da etwas zu holen war. Dann schlich er in dem alten Haus nach oben, so geschickt, dass die Treppen und Dielenbretter, die zum Futternapf seiner Konkurrentin führten, nicht knarrten und er ungesehen sich dort der Schlemmerei hingeben konnte. War der Napf leer, schlich er ebenso leise wieder nach unten hüpfte auf die Fensterbank in der Küche, von wo aus er einen guten Blick in den Vorgarten und zu den Nachbarn hatte.
Heute war es nicht besonders berauschend nach draußen zu blicken, aber besser als nach draußen zu müssen. Es regnete in Strömen und Duschen war absolut nicht seine Sache, schon gar nicht mit Regenwasser. Das würde sein herrliches flauschiges rotes Fell beschädigen, das konnte er nicht riskieren. Denn die Pflege seines Fells und seine Schönheit, von der er sich sicher war, ging ihm über alles. Das Wetter war so scheußlich, dass er nicht einmal auf die Außentreppe unter das kleine Vordach sitzen konnte, und natürlich auch nicht wollte. Außerdem war Gerda wieder in ihrem Element und sowas von Kratzbürstig wie eine rostige Gießkanne. Ihr war wohl die letzte Zigarette nicht bekommen und die, wer weiss wievielte Tasse Café aus der Maschine hatte vermutlich eine Bohne zu wenig gemahlen und aufgebrüht.
Also war die Fensterbank die einzige Option, die für Felix in Frage kam. Gemächlich streckte er die linke Pfote ein wenig nach vorne, um mal so ganz nebenbei gegen die Scheibe zu wischen, vielleicht war die Sicht dann besser. Doch nichts dergleichen hatte sich verändert. Also dann gab es nur noch eins. Sich abzulegen, es sich bequem zu machen und so den tanzenden Tropfen, die gegen die Scheibe sprangen zuzusehen…. solange bis die Augen zufielen und er einschlief, trotzdem aber wach genug um alles, was um ihn herum passierte nicht zu verpassen. Kaum hatte er es sich gemütlich gemacht, und die ersten Katzenträume rückten in seine Mittagsruhe, als die Tür aufging und Gerda in die Küche stolperte. Ja, sie stolperte geradewegs über die Schwelle, und konnte sich gerade noch am Küchenkasten der neben der Türe stand festhalten, denn Mimi rannte völlig aufgebracht und schreiend ihr zwischen den Füßen durch. Es folgte eine kurze Schweigeminute, dann folgte wie gewohnt das laute polternde Geschrei von Gerda. Mit handfesten Machtworten beschimpfte sie nun Felix, kam dabei so richtig in Fahrt, bis sie plötzlich bemerkte, dass es nicht Felix, sondern ihr Liebling, Madame Mimi war, die ihr hier in die Quere oder besser zwischen die Füße gerannt war. Als sie gerade lospolterte, … „du blöder Kat…“ blieb ihr im wahrsten Sinne das Wort im Munde stecken.
Während Gerda trotz des Missgeschickes mit Mimi und dem Gezeter gegenüber Felix sich nach und nach beruhigte, den Tiger auf ihren Arm nahm, mächtig Streicheleinheiten verteilte und nebenbei die Kaffeemaschine in Schwung brachte denn nach diesem Schreck kann nur eine richtig frischgebrühte Tasse Café ihr seelisches Gleichgewicht wieder zurechtrücken, war der Kater bereits wieder auf dem Weg ins Land der Träume und die prasselnden Regentropfen gegen die Scheibe taten ihr übriges.
Es dauerte nicht lange bis Felix noch im Traumland, zwischen Mäusen, prasselnden Regentropfen einen herrlich gefüllten Fressnapf, aus weiter Ferne ein herzzerreißendes Miau vernahm. Dann verstummten die Miau Rufe und wurden von polternden Geräuschen abgelöst und gleich darauf knallte die Küchentüre gegen die Wand durch die nun wie ein geölter Blitz keifend Madame Mimi in die Küche stürmte. „Ach, mein Schätzchen, was ist passiert“ fragte Gerda ihren Liebling. Die blieb zunächst schreiend vor ihr stehen, und machte gleich darauf einen Satz auf Gerdas Schoß. Langsam dämmerte Gerda was das jammernde Etwas so aufgebracht hatte.
Der S… Kater hörte man sie nun brüllen, der hat wieder den Napf von meinem Liebling geleert. Bei diesen Worten wickelte sie sich aus ihrer Decke, wo sie auf der Küchenbank ihr Nickerchen gemacht hatte, stand auf und kam erschreckend nahe an die Fensterbank. „Dir werde ich noch beibringen, was passiert, wenn du noch einmal der Kleinen das Fressen wegschlapperst. Auf der Straße wirst du in Zukunft schlafen, Mäuse vom Feld kannst du dir suchen, nix mehr mit stehlen ist dann geboten….Du schrecklicher blöder Kater.“
Felix beäugte Gerda mit einem Auge, das andere öffnete er erst gar nicht. Alles nur leere Drohungen sagte er sich, ein wenig durcheinander von den groben Schimpfworten, und doch war der Ton heute ein wenig anders als sonst. Er konnte es nicht fassen. Doch im Augenblick war er zufrieden, wie es war und döste weiter auf seinem Lieblingsplatz. Wer weiß vielleicht war heute der Café‘ gut, oder die Zigaretten nicht ausgegangen. Egal, ihn störte es nicht und so träumte er in gebührlicher Katermanier einfach weiter.
Doch irgend etwas hier im Hause war im Busch wie Helga seine Lieblingsmama immer gesagt hatte, wenn sich Neuigkeiten ergaben. Oh ja, seine Lieblingsmama fehlte ihm schon sehr. Er war sehr klein, nur mal so eine Handvoll Katze, als Helga ihn vor vielen Jahren zu sich von einem nahegelegenen Bauernhof holte. Deswegen war es auch selbstverständlich, dass Felix ihr Kater war. Auch als damals Gerda mit ihrem Max einzog, war er Felix seiner Helga mehr zugetan. Vielelicht, war das auch ein Grund weswegen Gerda ihn nicht besonders mochte. Aber das beruhte nun mal auf Gegenseitigkeit. Außerdem ihm konnte niemand etwas, er war hier der Herr im Haus. Nach diesem Tag sollte es auch nicht all zu lange dauern, bis es Felix dämmerte, dass sich hier im Hause einiges verändern sollte.
In den vergangenen Wochen war mehrere Male der Hauswirt hier gewesen und führte lange und teilweise ziemlich laute Gespräche mit Gerda. Sie war im Anschluss danach immer sehr verärgert und manchmal lief sie schimpfend durchs Haus. Und plötzlich standen in allen Zimmern Kartons und Kisten, was Felix ja sehr gefiel, denn darin konnte man sich so gut verstecken. Inzwischen schimpfte sie mit Felix etwas weniger, dafür ignorierte sie ihn ständig. Was mag wohl geschehen sein, dass Gerda meistens nur noch in gemässigtem Ton ihre Schimpfworte benutzte, wenn sie wieder einmal Felix gedroht hatte. Wer wusste das schon was sich hier verändert hatte.
Gerda wohnte seit Jahren nach der Trennung von ihrem Mann in dem kleinen Häuschen am Stadtrand, genauer gesagt in der Waldsiedlung bei Helga, die damals eine Mitbewohnerin suchte nachdem die Kinder ausgezogen und ihr Mann verstorben war. Diese Gegend war landschaftlich eine kleine Idylle, durch die Entfernung zur Stadt, gab es keine große Hektik. Die kleinen Häuschen teilweise wunderhübsch hergerichtet mit Vorgarten und bei den noch normalen nicht ausgebauten Straßen war es wie in einem Dorf. Bäume zwischen den Häusern und entlang der Straße eine Allee, aus noch alten Bestand teilweise aus der Vorkriegszeit. Sie machten die Siedlung zu einer begehrten Wohngegend.
In dem alten Häuschen lebte Gerda, ihre inzwischen vor einigen Wochen verstorbenen Freundin Helga, Kater Felix, Madame Mimi, und bis vor ungefähr einem Jahr Max Freiherr von Rothenstein, Gerdas Schäferhund den sie mitgebracht hatte. Sie waren eine eingeschworene Hausgemeinschaft. Es war gut aufgeteilt, wie Gerda sagte, „zwei Damen und zwei Herren“. Wir sind alle ein gut eingespieltes Team“, antwortete dann ihre Freundin Helga. Gerda ging noch arbeiten und Helga seit Jahren im Ruhestand kümmerte sich um Haus, Hof, Garten und die Tiere. Eigentlich wäre Gerda altersmäßig auch schon in Rente, aber sie konnte und wollte Ihren Sohn und das Geschäft das ihr gehörte, nicht alleine lassen. Es waren eben nun mal Wespen in ihrem Allerwertesten, und außerdem war sie der festen Überzeugung ohne sie ginge nichts, und dem Sohn traute sie die alleinige Führung nicht zu.
Max Freiherr von Rothenstein und Helga spazierten täglich um den kleinen Weiher. Oft war der Hund lange nicht zu sehen, weil er über die ausgedehnten Wiesen, tobte sich im Schilf versteckte oder in den nahen gelegenen Wald rannte. Dann ging es vor und rückwärts bis er völlig erschöpft mit Helga nach Hause trottete.
An den Wochenenden gingen die beiden Frauen gemeinsam mit ihm durch den Wald bis zur Bundesstraße und von dort machten sie jedes Mal einen Abstecher ins angrenzende Waldgebiet in die Meisterklause. Das war für alle das Highlight der Woche. Hier gab es eine leckere Schnitzel für die Damen, Wasser für Max und dann noch ein paar Küchenreste für zu Hause auf die Max ziemlich abfuhr.
Auf diesen Spaziergängen konnte es passieren, dass Felix sich den Dreien anschloss und gelegentlich ein Stück Richtung Wald hinter ihnen, her trottelte natürlich in gebührendem Abstand bis plötzlich seine Aufmerksamkeit für andere Dinge geweckt wurde und er keine Lust mehr hatte, weiter hinterher zu zotteln. Dann war er plötzlich verschwunden. Die anderen wussten schon, dass er jetzt seine eigenen Wege ging und man ihn dann später zu Hause auf seinem Lieblingsplatz schlafend antreffen konnte. Solche Spaziergänge waren für Madame Mimi nichts, sie war zu ängstlich. Ihr Runden drehte sie nur im Vorgarten und wenn es viel war, dann zwei Bäume die Allee entlang. Danach rannte sie wieder wie ein aufgescheuchtes Huhn ans Haus und versteckte sich im Holzschopf. Helga versuchte Mimi etwas aus der Reserve zu locken, doch sie war eine eigenwillige wilde Katze. Ihr Stammbaum gehörte sicherlich nicht zu denen der Hauskatzen. Dann meinte sie zu Gerda, „aus diesem Tiger wird nie eine richtige Katze.“ Das ärgerte Gerda ein wenig, denn schließlich hatte sie das graue etwas eines Abends mit nach Hause gebracht. Sie war aus einem Wurf einer Bekannten.
Als Max krank wurde musste er eingeschläfert werden. Von da an gingen Gerda und Helga nur noch gelegentlich zum Weiher oder in den Wald und schon gar nicht mehr in die Schnitzelfabrik, wie böse Zungen das Lokal nannten. Die Erinnerungen an unbeschwerte Spaziergänge saßen zu tief und schmerzten die Damen.
So begann Felix allein seine Kreise zu ziehen und stromerte durchs Gebüsch oder machte es sich anderweitig in Nachbars Garten gemütlich und jagte, wenn er gerade Lust dazu hatte den Hühnern der Nachbarin hinterher, oder vergraulte mit seinem Fauchen den Mops der neu zugezogenen Familie im Nebenhaus.
Alles in allem war nach und nach die Welt wieder in Ordnung, bis zu dem Tag an dem Helga die Kellertreppe hinabstürzte und tot war. Gerda war nun mit Felix und Madame Mimi allein im Haus. Der Besitzer legte Gerda nahe, dass er das Haus an eine Familie mit Kindern vermieten wolle. So kam eins zum anderen und Gerda war nun auf der Suche nach einem neuen Zuhause.
Die Probleme, die mit dem Umzug auf sie zukamen, machten ihr Sorgen. Zum einen war die Wohnung, die ihr zugewiesen wurde, sehr klein, dann in einem der oberen Stockwerke eines Hochhauses in der Stadt und was noch dazu kam, sie durfte dorthin keine Haustiere mitbringen. Für Gerda die ihre heißgeliebte Mimi unbedingt behalten wollte, kam das einem Desaster gleich. Denn wohin mit der Katze. Felix stand ihr nicht besonders nahe, er war schließlich der Kater von Helga. Und den wollte sie auch nicht mitnehmen. Also musste eine Lösung gefunden werden. Für Felix suchte sie seit dem der Hauswirt ihr gekündigt hatte ein neues zu Hause. Die Hausverwaltung dieser neuen Behausung lehnte zunächst grundsätzlich ab, Mimi mitzubringen. Gerda bettelte und versprach, dass die Kleine nicht stören würde und auch nicht im Hause irgend jemand belästigen werde. Es kostete nicht nur viele Gespräche und Anstrengungen und noch mehr Tränen bei Gerda, bis sie endlich mit einigen Auflagen die Erlaubnis erhielt Madame Mimi in die neue Wohnung mitnehmen zu dürfen.
Bis zum Umzug verging noch einige Zeit. Trotzdem kamen über den Vermieter immer wieder Leute, um die Räumlichkeiten anzusehen. Bei den Interessenten war ein junges Ehepaar, welches jetzt schon einige Male mit Meterstab vorbei gekommen war. Wie es aussah, sollten sie die zukünftigen Mieter werden. Die Kinder der Nachmieter waren schon ganz begeistert, wenn sie im Garten spielen durften, während die Eltern nach und nach begannen einige Reparaturen vorzunehmen. Gerda freute sich für das Paar und Felix hatte sie offensichtlich auch in sein Katerherz geschlossen. Er lies sich nicht nur streicheln, sondern bei einer Tasse Café die Gerda ihnen an einem Sonntag anbot setzte sich Felix kurzerhand der jungen Frau auf den Schoß. Diese war so begeistert von der Zutraulichkeit des Katers, dass sie ihrem Mann vorschlug, wenn sie hier eingezogen sind, wollten sie sich auch eine Katze zulegen.
Die Zeit verstrich, der Umzug rückte näher. Das ein und andere Zimmer im Hause, sowie der Keller hatten inzwischen schon recht viel von den handwerklichen Fähigkeiten der neuen Mieter profitiert. Etwas eigenartig war, dass sich Felix sehr für die Arbeiten, natürlich auch für die Materialien des zukünftigen Hausherrn interessierte. Er strich immer um ihn herum, saß stundenlang in den Räumen, in denen er gerade arbeitete, oder gar im Keller auf der Fensterbank und beobachtete jeden Handgriff. Er war der Kapo oder Aufpasser, dass alles seine Richtigkeit hatte. Schließlich musste man als Katze über alles Bescheid wissen. Und er als Ober Boss des Hauses sah darin seine Pflicht.
Inzwischen waren auch die Kinder des Paares des öfteren mitgekommen. Vom Küchenfenster aus, seinem Stammplatz beobachtete er sehr genau was die Kinder machten, wohin sie gingen oder sich versteckten. Er folgte ihnen meist unauffällig, bis er eines Tages dem kleinen Jungen in gebührendem Abstand in den Garten begleitete. Eines Tages folgte er ihm so lange strich ihm plötzlich um die Beine und forderte ihn auf ihn zu streicheln. Jetzt war endgültig der Bann gebrochen. Von da an waren der Junge und der Kater unzertrennlich.
Der Frühling nahte. Draußen in den Gärten begann es zu blühen. Gerda lag mit ihrem Umzug in den letzten Zügen. Soweit hatte sie alles eingepackt und alles in einem der unteren Räume für den Abtransport bereitgestellt. Einer ihrer Söhne und auch der Enkel von Helga hatten sich bereit erklärt den Umzug zu stemmen.
Schon seit Tagen konnte Gerda nichts mehr essen. Sie hatte plötzlich doch mächtig Angst, jetzt schon Heimweh nach dem Häuschen im Grünen. Das konnte man gut verstehen. Schließlich hatte sie eine lange Zeit ihres Lebens hier zusammen mit Helga und den Tieren verbracht. Ja, dass sie Mimi, mitnehmen konnte, war ein kleiner Trost. Ganz zum Schluss erst wollte sie ihr Schätzchen ins Auto packen und mit ihr zusammen losfahren. So hatte sie sich bereits innerlich auf den Abschied vorbereitet. Inzwischen hatten die neuen Mieter die hier jetzt einziehen, sich mit Gerda arrangiert. Sie wollten unbedingt, wenn es recht wäre Felix behalten. Sie hatten sich in den vielen letzten Wochen, seit sie hier renovierten so sehr an ihn gewöhnt und ihn auch in ihr Herz geschlossen, dass es kein Problem war Felix einfach mit zu übernehmen. Also sollte Felix „adoptiert“ werden. Was er wohl dazu sagen würde? Offensichtlich hatte auch der Kater Freundschaft mit den Neuankömmlingen geschlossen und fühlte sich in der neuen Familie schon richtig wohl. Der Junge gerade mal 5 Jahre alt, hatte eine ganz besondere Beziehung zu Felix aufgebaut. War auch nicht verwunderlich, denn auch er hieß Felix. Das Mädchen vier Jahre älter als ihr Bruder hieß Friederike und war sehr scheu. Sie streichelte Felix oft, aber lieber zog sie sich zurück, saß irgendwo und hatte ein Buch bei sich. Wenn es Kater Felix gefiel, setzte er sich in ihre Nähe und sah ihr zu, wie sie Blatt für Blatt in ihrem Buch umblätterte. Zwischendurch lächelte sie zu dem Kater hinüber und dann war sie wieder ins Lesen vertieft.
Eigenartig war, dass Gerda schon die ganzen letzten Tage, seit entschieden war, dass Felix hier bei der neuen Familie bleiben sollte, an ihn denken musste. Aber wo war der Kater nur abgeblieben. Im ganzen Haus war er nicht aufzufinden. Der Fressnapf war zwar leer und Mimi musste sich auch des öfteren Beschweren, weil ihr Schälchen auch leer gefressen war und Gerda es ständig nachfüllen musste. Ein wenig hatte sie schon ein schlechtes Gewissen Felix zurückzulassen, so hatte sie ihn auch in den letzen Wochen überhaupt nicht mehr beschimpft oder ein böses Wort zu ihm gesagt. Inzwischen sorgte sich die neue Familie wenn sie im Hause war, sehr um Felix. Spätestens jetzt wusste Gerda, dass es ihrem roten Häuptling gut gehen werde und dass er seine gewohnte Umgebung nicht verlassen musste. Was sollte Felix auch im oberen Stock eines Hochhauses, er der immer ein Freigänger war, sich nicht einsperren lassen wollte und die Gegend um den Weiher und die Wiesen für sein Wohlbefinden brachte. Ja und überhaupt er war ja hier groß geworden. Warum ihm da wegnehmen, wenn er es jetzt bei der neuen Familie im alten Zuhause gut haben kann.
Ja und dann war es so weit. Der Umzugstag war da. Die Autos standen fix und fertig geladen zur Abfahrt bereit. Gerda und ihre beiden Helfer tranken mit den Nachfolgern noch eine Tasse Café. Und dann war Aufbruchstimmung. Alle riefen bei der Verabschiedung noch nach Felix. Jeder suchte ihn, aber er war und blieb verschwunden. Friederike und ihr Bruder suchten im ganzen Haus vom Keller bis unters Dach, in allen Zimmern und riefen sich die Seele aus dem Leib, wie man so schön sagt. Aber Felix war und blieb verschwunden.
Nun schnappte Gerda den Katzenkorb mit Mimi packte ihn auf den Rücksitz und stieg in ihr Auto. Ihre Augen waren gerötet und feucht als sie losfuhr, noch ein kurzes Winken und das Versprechen bald wieder zu kommen alle zu besuchen und auch mal nach Felix zu sehen.
Wenn ein schlechtes Gewissen zur Plage wird, dann findet man keine ruhige Minute mehr. So einfach ohne Abschied loszufahren, das hatte sich Gerda nicht vorgestellt. Wenigstens ihm nochmal von weitem einen Blick zuzuwerfen, das wäre jetzt schön. Im Schritttempo fuhr sie die Baumallee hoch, bis oben zum Abzweig wo sich die Straße gabelt. Im Rückspiegel erkannte sie noch die Nachfolger wie sie winkend dastanden. Gerade als sie mit dem Handrücken über ihre tropfende Nase wischen wollte, bemerkte sie aus den Augenwinkeln schemenhaft etwas am Straßenrand. Es war Felix. Ruckartig bremste sie ab. Beinahe wäre das nachfolgende Fahrzeug hinten auf sie aufgefahren. In Windeseile stieg Gerda aus dem Auto, ohne die Wagentüre zuzumachen und rannte auf den Kater zu. Der bleib, ohne sich zu bewegen wie eine Statue am Straßenrand sitzen.
Kaum bei ihm angekommen, hob sie den schweren Kater hoch und drückte ihn so gut es nur ging an sich und sprach mit ihm. Ihre Tränen kullerten auf das rote Fell. Jetzt muss er sich bestimmt wieder lange putzen und schön machen, bei so viel Tränen Wasser, aber es war wenigstens kein Regen…Wir werden wohl nie erfahren, was die beiden miteinander geredet hatten. Endlich setzte sie ihn wieder ab, dort wo er auf sie gewartet hatte.
Unten vor dem Haus stand die neue Familie und beobachtete das Schauspiel. Gerda drehte sich noch einmal um winkte ihnen zu und verschwand in ihrem Auto. Sehr langsam bog sie aus der Allee in die Ausfahrtsstraße, immer wieder einen Blick in den Rückspiegel werfend zu dem Kater, zu ihrem Felix, der immer noch bewegungslos am Straßenrand saß, solange bis sie weder ihn noch die Baumallee sehen konnte.