Genau heute vor einem Jahr am 05.03.2020 haben die Sanitäter dich hier abgeholt. Es ging dir unendlich schlecht und wir konnten uns nicht mehr voneinander verabschieden. Das ist für mich immer noch ein schwer wiegender Augenblick. Genau damit komme ich nicht zurecht.
DU gingst, ohne dich noch einmal umzudrehen, was mir durchaus verständlich ist, denn du hattest mit dir und deinem schlechten körperlichen Zustand zu kämpfen. Doch ich kann mir nicht vorstellen, dass dir bewusst war, sowenig wie mir, vielleicht im tiefsten Inneren unserer Seelen, dass wir uns nicht mehr sehen und sprechen werden.
Und doch kommen mir bei dem Gedanken an diese Situation immer und immer wieder Zweifel. Sie bringen mich in manchen Augenblicken total aus meiner Mitte. Wir werden es nie mehr erfahren, nicht nachvollziehen und auch nicht ergründen können. Doch darf ich für mich den Glauben daran nicht aufgeben, dass du trotz deiner sehr schweren Krankheit noch lange nicht gehen wollest. Vor allem die letzten Monaten, nachdem deine Atmung und die Hustenanfällen, durch den Nebel und die Kälte dich noch mehr erschöpft hatten. Auch dann war dein Lebensmut und deine Fröhlichkeit ungebrochen. In Gedanken waren da immer noch die Wünsche und Hoffnungen, zusammen Ausflüge, Besuche oder eine Reisen zu machen. Vieles wolltest du noch erleben. Du hattest sicherlich nicht vor, mich hier alleine zurückzulassen.
Doch es ist alles anders gekommen. Bei unserem gemeinsamen letzten Telefonat, als ich im Krankenhaus an dem Vormittag nach deiner Einweisung angerufen hatte, und die Schwester den Hörer an dich weiter gab, sprachst du nur von deinen Asthma Spray welches du vergessen hattest und ich es dir bringen solle. Ich versprach es dir und auch bald in die Klinik zu kommen und dir alles was sonst noch Nötig war, vorbeizubringen. Doch sagte ich auch, dass ich dich Liebe und es mir unendlich leid tut, dass ich in der vergangenen Nacht bei deiner Abholung ein wenig langsam reagiert habe, vielleicht sogar dir keine große Hilfe war? Auch sagte ich dir , dass ich dich unbedingt umarmen muss, wenn ich komme, weil das in der Nacht nicht mehr geschehen konnte, als die Ärztin dich untersuchte. Doch du sagtest nichts dazu, sondern nur, dass du dein Spray brauchen würdest, alle Formulare für die Untersuchungen bereits unterschrieben hättest und wir ja später…….“meintest du vielleicht reden könnten“. Ausgesprochen hast du es nicht. Doch wann ist später?
Dann warst du für mich nicht mehr ansprechbar. Als ich kam hatten sie dich bereits auf der Intensiv Station an die Herz Lungen Maschine angeschlossen, weil bei deiner Untersuchung dein Herz wieder ausgesetzt hatte und du wiederholt reanimiert werden musstest. Etwas, was du, wie du oft sagtest, nie mehr erleben wolltest.
Und da stand ich dann an deinem Bett…… du im Koma in das sie dich versetzt hatten, um deine wenigen Kräfte zu schonen und den Körper nicht unnötig zu belasten. Dann die niederschmetternde Ansage von Dr. Fresewinckel, dass du nur noch eine sehr geringe Herzleistung zeigen würdest, die unter zehn % liege. Deine künstliche Herzklappe, die sie vor einem Jahr dir eingesetzt hatten, wäre kaputt und eine Operation könnte nicht mehr gemacht werden, da du diese nicht überleben würdest.
Ach Gott…ich kann nicht beschreiben wie es mir dabei erging, wie ich mich fühlte, welche Gedanken und Eindrücke mich beschäftigten. Ich war nicht bei mir und fand mich in einer Art Vakuum wieder. Unwirklich all das was sich ereignete. Irgend etwas hatte sich in mir abgeschaltet. Was ich glaubte oder nicht glaubte, wie es weiter gehen sollte oder könnte, war wie eine Ansage aus einem Film.
Die wenigen Tage die du noch hattest, müssen eine unheimliche Tortour und eine nicht nachvollziehende Qual für dich und deinen Körper gewesen sein. Ob du Körperliche Schmerzen gespürt hast, kann ich nicht sagen, aber mit Sicherheit müssen es für dich große seelische Qualen gewesen sein. Ein Prozess des Sterbens der das Leben radikal mit allem körperlichen Befindlichkeiten durchbrochen und ihm die menschliche Würde genommen hatte.
Da stellt sich für mich auch heute noch die Frage, kann sterben in Würde geschehen? Ist es die Würde, die einem Menschen wirklich würdig ist? Was ist gesehen habe und was mein Herz mir sagt ist ein Prozess des Leidens, vom ersten Augenblick an, in den der Menschen die Schwelle erreicht und sie übertreten muss.
Du hattest dich an dem Samstagnachmittag, als sie dich ein wenig aus dem Koma geholt hatten aufgebäumt und uns angesehen,…. diesen Blick und dein Zittern am ganzen Körper, der Versuch etwas zu sagen, waren nicht nur eine immense Anstrengung für dich, die ich nie mehr in meinem Leben vergessen kann, sondern auch wir waren nicht fähig, dir beizustehen. Die Machtlosigkeit mit der man Konfrontiert wird zeigt wie klein der Etsch ist. Deine größte Aufmerksamkeit galt deinem Sohn……ich bin mir bis heute nicht sicher, ob du mich wahrgenommen hast. Das tut mir unendlich weh. Deine Augen waren gebrochen und starr vor Entsetzen. Ich hoffe und wünsche mir, dass du die Augenblicke in denen ich deine Hände mit den ätherischen Ölen, massierte, weil sie schon sehr kalt waren, noch gespürt hast. Das Öl hatte mir die Schwester gegeben und mir gesagt, dass dies eine wundervolle Geste für dich wäre, eine Geste meiner Liebe und Zuneigung, die ich unser ganzes gemeinsames Leben für dich empfunden habe. Ich hoffe, dass du dies noch gespürt hast und mit deinen Sinnen als etwas angenehmes wahrnehmen konntest.
Nun ist es ein Jahr her, dass du nicht mehr da bist. Ein eigenartiges Jahr für mich und mein Leben….. Ein besonderes Jahr für all das was seither geschehen ist. Ein Jahr in dem wir an das Zuhause gebunden sind, Masken sowohl im Freien und beim Einkaufen tragen müssen, nur wenige persönliche Kontakte pflegen dürfen, keine Restaurants geöffnet sind, der Einzelhandel ebenso wie Theater und andere Kultur Einrichtungen geschlossen wurden und bis heute noch keine Perspektive für eine Öffnung zu verspüren ist, ganz zu schweigen von den Reisen die wegen Beherbergungsverboten nicht möglich sind. Das einzig Gute daran ist, dass du dies alles mit deiner Krankheit nicht mehr erleben musstest.
Ich bin mit diesem Zustand bislang Wiedererwarten gut zurecht gekommen, auch wenn der Freiraum einfach in die Stadt gehen zu können fehlt, dies und das im Laden anzuschauen, auch keine menschlichen Kontakte vor allem zu Hause stattfinden können, die restliche Familie sich über eine e-Mail ab und an sich mit mir austauscht, so genieße ich doch meist diese Stille und das Allein sein. Ich mache lange Spaziergänge und kenne unser Dorf, in und auswendig. Jede Gasse jeden Garten, jedes Haus inzwischen und die darum herumliegende Natur, den Wald, die Wege am See, in Richtung Radolfzell, in Richtung Allensbach und in Richtung Mindelsee, i sind mir unendlich vertraut. Und doch erwische ich mich bei den Spaziergängen dabei, dass meine Gedanken abschweifen und ich mit dir rede, mir auch manchmal Vorwürfe mache, etwas übersehen oder versäumt zu haben. Die Gänge zum Grab auf den Friedhof sind auch nicht gerade üppig. Aber für mich bist du hier …hier im Haus, im Gatten und in jedem einzelnen Detail das uns miteinander verbunden hat.
Ich habe und hatte viel im Hause zu tun, aufzuräumen und zu entsorgen. Einmal das, was in den langen Jahren der Berufstätigkeit und vor allem in der Zeit deiner Krankheit liegengeblieben ist. Auch die restlichen Rückstände aus der Zeit der Praxisauflösung mussten noch entsorgt werden. Zwischendurch habe ich deine Reisenotizen gelesen, die ich eines Tages in unserem gemeinsamen Blog veröffentlichen möchte. Dann in deinen Tagebüchern viel über dich und uns gefunden, dort hast du dich oft in kurzen und auch halben Sätzen anvertraut. Mit reden hattest du es nie so, aber aufgeschrieben hast du einiges, auch wie du dich mit vielen Fotos auch Selfies, von dir einiges festgehalten hast. Dies war eher deine Stärke. Das Räumen und lesen hat mir die Zeit nicht lange werden lassen. Ich lese viel und höre oft Musik oder manchmal verkrieche ich mich hinter dem Fernseher oder schreibe Whats App mit den wenigen Menschen die noch geblieben sind.
Höhen und Tiefen erreichen mich schon zu unmöglichen Tageszeiten, manchmal morgens, oder am späten Abend, gelegentlich auch in der Nacht oder auf den ausgedehnten Spazierwegen. Wenn ich auf dem Friedhof vor deinem Grab stehe, ist das nach wie vor noch alles so unwirklich. Ich schäme mich nicht für den Gedanken, dass wir dort nur deine sterblichen Überreste abgelegt haben. Der Name auf dem Stein ist mir nicht fremd, aber ich kann ihn dir nicht zuordnen.
Und doch ist es eigenartig, dass ich besonders heute feststellen muss, dass meine Gefühle der Situation und dem Jahrestag gegenüber, sich in einer sehr eigenartigen Stimmung präsentiert. Ich vermisse dich unendlich, doch es hat mich keine endlose Traurigkeit angefallen, wie ich erwartet habe, oder wie im außen mir immer wieder suggeriert wird. Erinnerungen und große Achtung vor dir und deinem Leben, deiner Liebe zu mir und dem was du mir als Lebenspartner, als Mensch, auch als Freund der du für mich gewesen bist, geschenkt hast. Auch vor deinem Leidensweg habe ich unendliche Hochachtung. Ich fühle wie schon lange nicht einen Lebensmut, Lebensfreude, und Begeisterung für mein gerade neu sich gestaltendes Leben, in mir. Das irritiert mich, das macht mir Angst, ja sogar oft ein schlechtes Gewissen. Klar ich weiss, das Leben geht für uns, die wir zurückgeblieben sind weiter. Doch damit umgehen ist nicht leicht und macht mir innere Unruhe. Vielleicht geht es um das Thema „Loslassen“ das mich mein ganzes bisheriges Leben schon immer begleitet hat.
Was passiert gerade in mir und mit mir, genau da wo jetzt die letzen Tage deines Lebens sich in der Erinnerung in diesem Jahr wiederholen? Habe ich kein Gewissen, keinen Bezug zur Trauer, kann ich überhaupt trauern, oder was tut sich da in meiner Seele? Ich fühle mich unmenschlich. Ich frage mich was ist Trauer? Kann ich Trauer überhaupt empfinden? Bin ich dazu fähig oder ein Monster, das jede Art der Gefühlsregung im Bezug auf Traurigkeit, um dich zu trauern, wegschiebt. Dem Trauernden wird dann in solchen Momenten gesagt, was man zu tun und zu lassen hat. Man wird im außen beäugt und oft erlebt man, dass hinter vorgehaltener Hand getuschelt wird, oder dumme Sprüche das Umfeld an dich heranträgt. Traurigkeit ist nichts neues und aussergewöhnliches auch nicht für mich. Denn in Traurigkeit bin ich mein ganzes zurückliegendes Leben eingefangen gewesen. Gerade deswegen bin ich so entsetzt über meine Empfindungen die sich nicht so anfühlen wie ich es aus anderen Situationen kenne, wie es sich vielleicht gehört, wie gesagt wird, oder auch was ich von mir erwarte.
Natürlich, du kannst mir die Fragen nicht mehr beantworten, aus dem Bereich wo du nun bist. Auch sonst kann mir vermutlich kein Mensch diese Fragen beantworten. Jeder empfindet und trauert anders, sagt man. Doch mit dir darüber zu sprechen und auch deine Gedanken dazu zu hören und nachvollziehen zu können, wäre mit dir möglich gewesen und spuckt mir mehr denn je im Kopf herum. Genau das ist eine Situation, die ich gerne ändern würde….. Und nun bleiben diese Fragen, die mit deinem Tod zu tun haben, sehr präsent und unbeantwortet in mir. Sie machen mir normal keine Angst, nur wenn ich gegen Morgen in der Dunkelheit erwache, ängstigt mich der Gedanke daran, oder auch die Vorstellung bald selbst krank zu sein und auch bald sterben zu müssen. Ich möchte gerne noch leben. Ich möchte noch etwas unternehmen, wieder meine Fröhlichkeit annehmen können, die du an mir mochtest. Meine Verrücktheiten, wie du sagtest, die dich manchmal fast „kirre“ gemacht haben und doch hast du dabei immer alles unterstützt was an mir so anders und „Eigen“ war. Du hast es einfach zugelassen und geschehen lassen. Oh Gott, deine unendliche verständnisvolle Art fehlt mir so sehr. Ich möchte mich wieder mit den wenigen Menschen die aus unserer gemeinsamen Zeit geblieben sind, austauschen. Wenn es sein kann auch neue Kontakte, sollen mein Leben nochmal bereichern, von ihnen möchte ich lernen, etwas erfahren und selbst dazu beitragen, dass mein Leben noch einen Sinn für mich und andere Menschen in meinem Umfeld bereit hält.
Die gemeinsamen zweiundfünfzig Jahre unserer Ehe, davon fünfundfünfzig Jahre die wir uns gekannt haben und diese in unserem Leben zusammen sein durften, durch Höhen, Tiefen, Krankheit, Verlust der Arbeitsstelle, Aufbau der Selbständigkeit in einem eigenen Betrieb, den wir über dreißig Jahre führten, den Tod unserer Tochter Claudia, die Lebensphase mit Marcus, unsere Reiseerlebnisse auch deine Operationen und deine Krankheit, die dich noch stiller werden ließen, als es dir doch schon immer eigen war, die Freuden mit der Vespa und unser gemeinsames Zuhause hier, für all das danke ich dir heute aus tiefem Herzen. Ich bin mir sicher, dass alles was gewesen ist, Sinn macht. Diesen Sinn werde ich vielleicht eines Tages mal verstehen, wenn es denn sein soll. Und wenn dies nicht der Fall ist, hatte es doch den einen Sinn unser beider Leben als etwas wundervolles erlebt zu haben und diese Erinnerung daran möge sich immer in meinem Herzen bereit halten.
ICH DANKE DIR!
Nachtrag: Gestern war der 11. März, der Tag an dem Du aus deiner materiellen Hülle von uns gegangen bist. Marcus und ich haben uns hier getroffen und wie ich es genannt habe „DICH“ gefeiert. Dich weil wir mit dir gelebt, dich geliebt, uns gemeinsam gefreut, genossen, getrauert, gelitten und uns gegenseitig ertragen und getragen haben. Wir wollten dir, so traurig das Sterben war einen Ehrentag schenken. Er ist für mich ebenso bedeutend und wichtig wie dein Geburtstag. Wir beide, Marcus und ich trafen uns gegen halb zwölf Uhr und machten ein gemeinsames verspätetes Frühstück, da Marcus zuvor noch gearbeitet hatte. Dann haben wir zusammen über vieles gesprochen und auch die Augenblicke als die Zeit wiederkehrte, in der du gegangen bist vor unserem inneren Auge noch einmal Revue passieren lassen. Die Momente die wir dort im Krankenhaus erlebt hatten, froh waren in dieser Stunde bei dir gewesen zu sein. Unsere Empfindungen glichen sich einerseits und doch hatte jeder von uns es auf seine ganz eigene Weise erlebt, wahrgenommen und verstanden.
Draußen stürmte und regnete es. Eigentlich wollten wir zu der Uhrzeit auf dem Friedhof sein. Doch das scheußliche Wetter lies uns fürs erste Abstand davon nehmen. Um die Mittagszeit rief Irene und Michel an. Sie wollten uns an diesem Tag gedanklich begleiten. Irene erzählte sie haben eine Kerze für dich angezündet, dein Bild dazu gestellt und Gedenkminuten eingelegt. Das fand ich sehr schön.
Später lies der Regen nach und wir konnten doch noch zum Friedhof gehen. An deinem Grab lag noch eine weisse Rose. Ich wußte nicht wer sie dort abgelegt hatte, vielleicht dein Bruder und deine Schwägerin, vielleicht auch Ute…. Egal! Ein Mensch der an dich denkt. Dafür sei ihm ebenso dank.
Als der Regen nachgelassen hatte, haben Marcus und ich uns auf den Weg zum Friedhof gemacht. Anschließend sind wir noch zur Emmaus Kapelle nach Engen hochgefahren und haben uns dort einige Zeit aufgehalten. Es ist schon eigenartig wie oft wir hier nun schon im Gedenken an dich Zeit und Stille verbrachten. Ich erinnere mich noch gut an den Tag, als wir beide zusammen das letzte mal dort oben uns aufgehalten hatten. Du bist sehr lange in dieser Autobahnkapelle geblieben. Unser Kind findet die Kapelle nicht besonders schön. Auf eine Art kann ich ihm einwenig zustimmen. Ich gebe zu, dieser sehr moderne Klotz wie er so vor einem steht ist für unser Auge schon gewöhnungsbedürftig. Ein Sakraler Bau total aus Beton stimmt einen schon ein wenig eigenartig. Ich habe gelesen, dass es mit der symbolischen Verbindung zum Thema Kreuz zu tun hat, die der Architekt hier einbringen wollte. Und doch strahlt die Kirche eine besondere Ruhe aus. Obwohl, oder genau deswegen, weil rings herum die vorbei rauschenden Autos zu hören sind, hat sie in ihrem Inneren eine unglaublich Stille bewahrt, die uns jedesmal wenn wir dort sind, ruhig werden lässt und das Herz und die Seele beflügelt.
Diese Ruhe und Stille haben wir an diesem stürmischen Nachmittag mit nach Hause genommen. Mit dieser Erinnerung werden wir immer wieder diesen Ort aufsuchen und uns an die gemeinsamen Augenblicke mit dir und im Andenken an dich erinnern.